User Generated City


„Civic Hackers“ bauen „von unten“ an einer offenen, demokratischeren Stadt. Kann digitale Technologie Katalysator einer bürgerorientierten Smart City sein?


November 2018



Do-It-Yourself- oder Selfmade-Urbanismus, informelle Stadtentwicklung oder Civic Hacking – wie auch immer man die Interventionen von Bürgern zu stadtentwicklungsrelevanten Themen nennen möchte: Die Beispiele mehren sich, in denen selbstermächtigt und selbstorganisiert, ohne Aufforderung durch Politik oder Verwaltung Bürger in Stadtentwicklungsprozesse eingreifen, eigene Ideen umsetzen und sich damit neue Wege urbanen Handelns bahnen. Der Wille, etwas in Eigenregie zu bewegen und das eigene Umfeld zu gestalten, zeigt sich in einer Vielzahl verschiedenster Apps: Einmal verbessern sie die Nutzung des öffentlichen Verkehrsnetzes; in der Flüchtlingshilfe wurde eine ganze Reihe von digitalen Werkzeugen entwickelt, die Flüchtlingen als auch Helfern unter die Arme griffen; oder schlicht geht es darum, den „Datentopf“ der öffentlichen Verwaltung anzuzapfen, um nützliche Informationen bereitzustellen. So stellt beispielsweise die Plattform „Bürger baut Stadt“ auf einer Karte geplante Bauvorhaben in Berlin dar, um Transparenz herzustellen und Bürgerbeteiligung zu erleichtern. Oder aber es wird die offizielle, nur an wenigen Messpunkten erhobene Feinstaubbelastung durch Bürgermessungen ergänzt, um die flächendeckende Belastung zu visualisieren.

Die städtische Zivilgesellschaft entwickelt ein neues Selbstverständnis, zunehmend werden die stadtplanenden Akteure und Institutionen kritisch hinterfragt. Das nachlassende Vertrauen in deren Informationspolitik, Vorgehensweisen und Entscheidungsprozeduren resultiert zum einen in der Forderung nach mehr Partizipationsmöglichkeiten, zum anderen werden aber Aktivitäten auch gleich selbstinitiativ angegangen. Dass Stadtbewohner parallel zur formellen Stadtplanung und nicht immer im Einklang mit derselben das Heft in die Hand nehmen, sei es mit dem Ziel der Selbsthilfe, spontanen Aneignung oder als Protestaktion, ist kein neues Phänomen. Heute allerdings ist ein solcher „informeller Urbanismus“ um einiges schlagkräftiger, da er sich moderner Technologien bedient und deren kollaborative Möglichkeiten nutzt. Smartphones, Open Source Software und Open Data spielen bei diesen Initiativen eine elementare Rolle: Durch den beinahe unbeschränkten Zugang zu Technik bestehen geringe Zugangsbarrieren und unbeschränkte Kommunikations- und Publikations- sowie Organisationsmöglichkeiten.

Dass die Stadt eng verwoben ist mit digitaler Technologie – von Drahtlosnetzwerken über GPS, Video, Sensoren bis hin zu Big Data und algorithmischen Entscheidungsverfahren – war ebenfalls Ausgangspunkt des Smart-City-Konzepts: Smarte Technologien sollten städtische Prozesse optimieren und sämtlichen Problemen in urbanen Bereichen wie Energie, Mobilität, Gesundheit und Umweltschutz an den Kragen gehen. Die Stadt sollte, so die Idee hinter dem vor allem von großen Technologiekonzernen vorangetriebenen Konzept, effizient und reibungslos funktionieren – sowohl für Bürger als auch die Stadtverwaltung. Die Do-It-Yourself-Maßnahmen der Stadtentwicklung bilden nun einen bewussten Kontrapunkt zu diesem „top down“-Ansatz der „Smart City“, in der dem Stadtbewohner nicht mehr als die Rolle eines passiven Empfängers städtischer Dienstleistungen zuerkannt wird. „Von unten“ soll die Stadt entwickelt werden, nicht per Masterplan, so das Credo der Civic Hackers. Und Technologie spielt eine wichtige Rolle dabei, eine offene, partizipative, demokratische Stadtgesellschaft zu ermächtigen, um einen Gegenpol zur effizienzgetriebenen „Smart City“ zu errichten. Der Stadtbewohner wird zu einem aktiven Mitgestalter des eigenen Lebensumfelds, zu einem urbanen Prosumer – Konsument des urbanen Lebens ebenso wie dessen Produzent. Letztlich geht es um das „Recht auf Stadt“, wie bereits in den 1960er Jahren der französische Soziologe Henri Lefebvre die Forderung als Parole ausgab, die Stadt zu verändern, in ihrer physischen Form als auch die mit ihr verbundenen sozialen Verhältnisse und Praktiken. Das „Recht auf Stadt“ endet nicht bei der Nutzung urbanen Raums und dem Konsum städtischer Leistungen, wie es die „Smart City“ nahelegt, sondern schließt ebenso Partizipationsmöglichkeiten an der künftigen Entwicklung mit ein.

Die Bewegung der Civic Hackers hat sich ausgehend von den USA global verbreitet. Vorreiter war „Code for America“: Die Initiative versucht seit Jahren Verwaltungshandeln durch Bürgerengagement zu verbessern und zu ergänzen sowie die demokratische Teilhabe der Bürger zu stärken. Lokale Gruppen von Ehrenamtlichen treffen sich regelmäßig, um ganz praktische städtische Aufgaben und Bedarfe auf digitalem Weg mit Hilfe von Apps anzugehen. Angelehnt an dieses Vorbild arbeitet in Deutschland „Code for Germany“ daran, IT-Innovationen in deutsche Verwaltungen zu integrieren. Auch hierzulande treffen sich Gruppen von Civic Hackern, um Anwendungen rund um Open Data zu entwickeln.

Über die in diesem Rahmen entwickelten digitalen Werkzeuge hinaus, hat Civic Hacking weitere positive Effekte: Die Initiativen der nutzergenerierten Stadt sind ein Sensorium für urbane Schwachstellen, legen den Finger in Wunden und entdecken Zusammenhänge, die für Experten möglicherweise nicht ohne Weiteres erkennbar sind. Zudem eröffnet Civic Hacking einen neuen Blick auf die Stadt sowie ihre Bewohner und lässt neue soziale Netzwerke entstehen. Man kann davon ausgehen, dass die Selbstermächtigung, das Engagement und aktive Sich-Einschalten der Bürger auf das soziale Leben der Stadt zurückwirken. Durch ihren unbefangenen, pragmatischen Umgang mit Problemen sind solche Initiativen Ursprung neuer Lösungswege, umso mehr, als dabei Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Kenntnissen zusammenkommen, die dann naturgemäß aus den verschiedensten Blickwinkeln auf die Stadt blicken. Allerdings wirft die Herangehensweise natürlich auch neue Fragen auf: Nicht nur birgt die Notwendigkeit Zündstoff, das neue – möglicherweise unorthodoxe, auf jeden Fall aber unübliche – Vorgehen der Civic Hackers mit dem klassischen Verwaltungshandeln zu vereinen. Je mehr sich urbane Hacks verbreiten, werden Fragen hinsichtlich der Verteilung von Rollen, der Organisation von Prozessen und Repräsentativität dringlicher. Um Antworten wird man nicht herumkommen, weil letztlich die wahrhaft smarte Stadt, nicht ohne den „Smart Citizen“ auskommen wird.

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