Virtuelle Restaurants


Essenslieferdienste verändern die Art und Weise, wie Restaurants betrieben werden. Immer öfter existiert das gastronomische Angebot nur noch digital.


August 2019



Das Geschäft mit Lieferdiensten, die Essen aus Restaurants abholen und nach Hause bringen, boomt – und verändern die gesamte Gastronomiebranche. Weil Auslieferungen einen immer größeren Umsatzanteil ausmachen, beginnt sich zu wandeln, wie Restaurants betrieben werden: Immer mehr kommen ohne Gastraum, Tische, Stühle und Kellner aus, sie existieren praktisch nur noch als App. Traten die Essenslieferdienste zunächst an, um eine Parallelstruktur neben der alten Institution des Restaurants zu bilden, so könnte es – hält der Trend an – immer mehr dem Restaurant, wie wir es kennen, an den Kragen gehen.

Im Zentrum des Geschäftsmodells stehen „Geisterküchen“, die im Wesentlichen als bloße Produktionsstätte für das zur Auslieferung bestimmte Essen fungieren. Dabei muss es nicht einmal die eigene Küche sein, teilweise werden – nach dem Cloud-Prinzip – freie Kapazitäten fremder Restaurantküchen oder Küchenzeilen von professionellen Anbietern auf Zeit angemietet. Auch teure Mieten fallen bei solchen „Restaurants“ nicht an. Denn sie müssen sich nicht in den angesagten, teuren Vierteln der Stadt befinden, mitunter werden sie in Containern ähnlichen Metallboxen betrieben, die aufgestellt werden, wo es weniger glamourös ist und kaum etwas kostet, auf Parkplätzen oder in Industriegebieten etwa. Der Besteller bleibt völlig ahnungslos, dass das Restaurant, dessen Gericht er nach Hause erhält, physisch gar nicht existiert.

Geisterküchen entstanden erstmals vor einigen Jahren in New York, aber längst wird auch in Europa und Asien mit dem Geschäftsmodell experimentiert. Für herkömmliche Restaurants wird der hart umkämpfte Gastronomiemarkt noch härter, denn ein immer größerer Teil des Geschäfts wird im Cyberspace abgewickelt und der Druck, das eigene Angebot über Apps verfügbar zu machen – und die recht üppigen Gebühren der Lieferdienste zu bezahlen – wächst. Dabei wird die Verbreitung solcher Delivery-Only-Konzepte sicherlich – kulturell bedingt – mit unterschiedlicher Geschwindigkeit erfolgen: In den USA wird traditionell viel und gerne Lieferservice nach Hause in Anspruch genommen, während beispielsweise in Frankreich ein Restaurantbesuch einen völlig anderen Stellenwert besitzt und eine entsprechende Atmosphäre und freundliche Bedienung Teil des Angebots sind.

Ist die Virtualisierung von Restaurants ein weiteres Phänomen unserer digitalen Zeit, dass immer mehr Materielles verschwindet? Bücher, Filme und Musik – all dies tritt uns heute entkörperlicht entgegen. Der virtuelle Raum breitet sich schleichend immer weiter aus. Und stößt im Falle der Restaurants in die entlegensten Regionen vor; denn was – so hätte man vor geraumer Zeit noch meinen können – wäre stärker davor gefeit, der Virtualisierung zum Opfer zu fallen als das Grundbedürfnis Nummer eins des Menschen, das Essen?

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