Verantwortung für morgen


Ist der Traum vom Wachstum ausgeträumt? Umwelt- und Klimaschutz dulden keinen Aufschub und erfordern einen Neustart.


August 2019



Immer schon versuchte der Mensch sich die Natur Untertan zu machen. Doch haben die menschlichen Eingriffe in die Natur in Quantität und Qualität eine Dimension erreicht, die dazu Anlass gab, von einem neuen geologischen Zeitalter zu sprechen: Auf den niederländischen Meteorologen Paul Crutzen geht der Begriff des Anthropozäns zurück, der damit zum Ausdruck bringen wollte, dass der Mensch zum geologischen Faktor geworden ist. Nicht nur auf lokaler, sondern auch auf globaler Ebene machen sich die Auswirkungen menschlichen Tuns heute bemerkbar. Als wichtigste Veränderungen nannte Crutzen etwa die Konzentration der Treibhausgase und den Klimawandel, das Ozonloch, die Versiegelung von Landfläche, die Überfischung der Meere und das Artensterben.

Es sind diese sichtbaren Zeichen des Anthropozäns, die uns bereits jahre-, wenn nicht gar jahrzehntelang in den Medien tagtäglich begleiten und Teil der politischen Agenda sind – doch ohne, dass die Zerstörung der Natur zu einem Halt gebracht worden wäre. Einzig die Warnungen, dass sich etwas ändern muss, werden dringlicher, die Horrorszenarien einer klimagewandelten Welt grausiger. Sich die Natur zu unterwerfen zielte stets darauf, Souveränität zu gewinnen. Doch angesichts einer bedrohten Umwelt, die ja unsere Lebensgrundlage ist, sind Souveränitätsgewinne nicht mehr zu haben, vielmehr hat die Menschheit alle Hände voll zu tun, diejenige Souveränität, die bleibt, zu verteidigen. Erst langsam sickert es in dieser Lage ins Bewusstsein, dass es höchste Zeit ist, Taten zu setzen.

Dabei vertraut der digitale Mensch, wie könnte es anders sein, auf technische Lösungen. Eine ganze Reihe von Apps zielen darauf, zu grünem Verhalten zu motivieren. Wer Energie einspart und das Fahrrad statt des Autos nimmt, verdient Punkte und tritt ein in einen Wettkampf um den umweltverträglichsten Lebensstil. So soll jeder Einzelne zu kleinen nachhaltigen Taten motiviert werden. Die Sharing Economy wiederum setzt darauf, mit digitalen Mitteln gesellschaftliche Praktiken so zu verändern, dass die Konsumformen des Teilens und Tauschens Ressourcen einsparen. Und überhaupt soll Technologie zu einer umweltverträglicheren, kohlendioxidarmen Ökonomie führen: Unter dem Schlagwort der „grünen Ökonomie“ soll die Kombination aus regenerativer Energie, effizienterer Fertigungsverfahren und Rohstoffnutzung der Königsweg zur Bekämpfung des Klimawandels sein, ohne den Wohlstand zu bremsen. Und falls all dies nichts hilft: Climate Engineering setzt gleich beim Klimasystem an und zielt darauf, Zeit zu gewinnen im Kampf gegen den Klimawandel, indem Treibhausgase wieder aus der Atmosphäre zurückgeholt sowie Sonnenlicht in den Weltraum reflektiert wird. Die Düngung der Ozeane zwecks Ankurbelung von Algenwachstum, Spiegel im Weltall oder künstliche Wolkenbildung sind Beispiele für solche Maßnahmen, durch die die Folgen des Klimawandels abgemildert werden sollen.

Zweifel sind angebracht, ob diese Maßnahmen ausreichen oder überhaupt wirksam sind. Mit Blick auf die grünen Apps ist zu sagen: Sicherlich, Kleinvieh macht auch Mist – aber reicht das denn, um das Ruder herumzureissen? Und was die Sharing Economy betrifft, wurden bereits erhebliche Rebound-Effekte nachgewiesen, wenn etwa der Erfolg von Carsharing auf Kosten von öffentlichem Verkehr geht. Die „grüne Ökonomie“ ist bis heute ihre Erfolge schuldig geblieben und Climate Engineering ist ein einziges Hazardspiel – niemand kann wissen, wie die Maßnahmen sich auf lange Sich auswirken und ausprobieren lassen sie sich mangels Testplanet schon gar nicht.

Um jeden Preis, so scheint es, soll verhindert werden, an unserem Fortschritts- und Wachstumsparadigma zu rütteln, wo doch die Lösung eigentlich auf der Hand liegt: Kann es letzten Endes einen Weg an Verzicht und Selbstbeschränkung vorbei geben? Wie unpopulär diese – rein nicht-technische Lösung – ist, zeigt sich vielleicht auch daran, dass bereits vor vierzig Jahren der Philosoph Hans Jonas diesen Weg angemahnt hat und seine Botschaft nicht eben auf fruchtbaren Boden fiel. In seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“ formulierte Jonas eine „Ethik für die technologische Zivilisation“. Sein ökologischer Imperativ, der mit jeder Handlung eine globale Verantwortung verknüpft, könnte kaum aktueller sein als heute. Nach Jonas müssen Auswirkungen des Handelns nicht nur im Nahbereich, sondern global sowie ebenso im Hinblick auf künftige Generationen mitgedacht werden – diese Verantwortung entspringe aus den technischen Möglichkeiten der Naturbeherrschung.

Wie aber lässt sich Jonas‘ Imperativ – „Handle so, dass die Wirkungen Deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ – in die Tat umsetzen? Jonas flankiert seine abstrakte Forderung mit einem Handlungsrezept: „Der schlechten Prognose den Vorrang zu geben gegenüber der guten, ist verantwortungsbewusstes Handeln im Hinblick auf zukünftige Generationen.“ Mit seiner „Heuristik der Furcht“ erteilt der Philosoph dem unbegrenztem Fortschrittsoptimismus und Machbarkeitswahn eine Absage und fordert vielmehr eine Art Fortschrittspessimismus. (Was hätte Jonas wohl von Climate Engineering gehalten?!) Mit seiner Ethik verschafft Jonas zukünftigen Generationen eine Lobby. Klima- und Umweltschutz ist kein zeitlich befristetes Projekt, sondern ein permanent, über Generationengrenzen hinweg zu verfolgendes Programm. Könnte nicht insofern die Ethik Hans Jonas‘ gerade heute wertvolle Denkanstöße geben?

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