Die Neuerfindung von Arbeit


Uns geht die Arbeit aus? Warum definieren wir sie nicht einfach neu?


Februar 2019



Obwohl wir alle eine exakte Vorstellung davon zu haben meinen, was Arbeit ist, fällt es gar nicht leicht, sie zu definieren. Kein Wunder, handelt es sich doch um einen äußerst vielschichtigen Begriff: Wir gehen zur Arbeit, wir beginnen und beenden eine Arbeit, wir arbeiten an etwas. Arbeit ist jene Zeit, die nicht Freizeit ist. Wir arbeiten, um unsere Rechnungen zu bezahlen, aber ebenso, um uns weiterzuentwickeln. Arbeit ist für die einen Last, für die anderen Lust. Den einen wird sie angeblich von Robotern weggenommen, die anderen haben zu viel davon. Was nun ist Arbeit? Wie die Antwort auf diese Frage ausfällt, ist keineswegs nebensächlich, hängt davon doch entscheidend ab, wie wir den vor allem durch Technologie angetriebenen Wandel der Arbeitswelt zum Positiven für die Menschen und die Gesellschaft als Ganzes gestalten.

Seit den Anfangstagen des Industriezeitalters wurde Arbeit stetig auf Standardisierung, Routine und Effizienz getrimmt. Frederick W. Taylors „Scientific Management“ zielte darauf ab, Arbeitskräfte mit wissenschaftlicher Exaktheit zu steuern, damit diese wie Rädchen in einer gut geschmierten Maschine funktionierten. Im Grunde wurde damals der Grundstein der Automatisierung gelegt, indem nur der Arbeitsprozess, nicht aber der Mensch in den Mittelpunkt des Interesses der „Wissenschaftlichen Betriebsführung“ gestellt wird. Maschinengleich sollte der menschliche Arbeiter funktionieren, weswegen er – die Existenz entsprechender Maschinen vorausgesetzt – aus dem Arbeitsprozess sogleich wegzudenken war. Eine solche Produktionsweise beschrieben sodann auch 1946 Eric W. Leaver und John J. Brown im US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin „Fortune“: In ihrem Artikel „Machines Without Men“ zeichnen sie ein Bild einer menschenleeren Fabrik, regelrecht ausgespielt wird der Mensch gegen die Maschine: Schließlich sei die Maschine der bessere Arbeiter, weil sie nicht nur bessere Produkte hervorbringe, sondern es ihr auch nichts ausmache, rund um die Uhr zu arbeiten, auch verspüre sie weder Erschöpfung noch Hunger, beschwere sich nicht über Arbeitsbedingungen und verlange nicht höhere Löhne. Bereits Mitte des letzten Jahrhunderts kamen die beiden Autoren zu dem Schluss, dass der Mensch im Produktionsprozess überflüssig sei.

Zwar ist die menschenleere Fabrik nach wie vor bloß eine Ausnahmeerscheinung. Doch mit immer smarter werdender Technologie, mit dem weiteren Sprung in der Entwicklung Künstlicher Intelligenz, mit Robotern, die längst mehr sind als die „Blechtrottel“ vergangener Tage, weil sie immer menschenähnlicher agieren und nicht mehr nur auf dem Feld körperlicher, sondern auch geistiger Arbeit mit dem menschlichen Arbeiter konkurrieren, hat die Debatte rund um die Ersetzung des Menschen durch Maschinen einen neuen Höhepunkt erreicht. Dabei fällt auf, dass es beim Nachdenken über die Zukunft der Arbeit schwierig erscheint, aus dem industriegesellschaftlichen Denkmuster auszubrechen: Auch im Zeitalter der Wissensgesellschaft sind es immer noch Produktivität und Effizienz, die das Arbeitsumfeld bestimmen. Anstatt sich seiner Stärken bewusst zu sein, begibt der arbeitende Mensch sich in einen Wettlauf mit der Maschine und versucht sie auf Feldern zu schlagen, auf denen die Maschine von vornherein einen Vorsprung hat. Als käme es nur darauf an, Routinetätigkeiten immer schneller und akkurater auszuführen. Dabei hat die Entwicklung Künstlicher Intelligenz in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass Computer zwar dazu gebracht werden können, Aufgaben zu lösen, die für den Menschen schwierig sind, dass aber umgekehrt Computer an Aufgaben scheitern, die für den Menschen nicht das geringste Problem darstellen. So schlagen zwar Schachcomputer den Menschen beim Schachspiel, werden aber am Einräumen einer Spülmaschine kläglich scheitern und ein selbstfahrendes Auto kann zwar autonom durch den Verkehr navigieren, wird aber wiederum eine schlechte Figur in einer Partie Schach abgeben.

Angesichts solch – zugegeben – leistungsstarker, aber eben doch sehr spezieller Intelligenz von Maschinen erscheint es fraglich, ob der Abgesang auf den arbeitenden Menschen nicht etwas verfrüht kommt. Jedenfalls aber kann die angemessene Antwort auf das Vorrücken von Maschinen an die angestammten Arbeitsplätze des Menschen nicht ein Reskilling des menschlichen Arbeitenden sein – bloß um von einem Bereich, aus dem Maschinen den Menschen bereits verdrängt haben, in einen anderen zu wechseln, in den die Maschinen über kurz oder lang ebenso einfallen werden. Vielversprechender für den Menschen als bloß die Lücken zu füllen, in denen Maschinen noch nicht leistungsfähig genug sind, erscheint es, den Menschen und seine Maschine als sich gegenseitig ergänzendes Arbeitssystem zu betrachten. Der technologische Fortschritt muss kein Nullsummenspiel sein – ganz im Gegenteil.

Weil unmittelbar einsehbar ist, dass es viele Arbeitsbereiche gibt, für die Maschinen besser geeignet sind als der Mensch, muss es heute darum gehen, Arbeit völlig neu zu denken, neu zu definieren, was wir unter Arbeit verstehen – und verstehen wollen. Es geht um eine neue Herangehensweise an das Konzept Arbeit, um mit dem Wandel fertig zu werden, und nicht nur das: um den durch Technologie angetriebenen Wandel zum Positiven für Individuen und Gesellschaft zu kanalisieren. Dazu ist es nötig, sich jene Fähigkeiten vor Augen zu halten, die den Menschen von Maschinen unterscheiden – und die er ihnen – aller Voraussicht nach – für immer voraus haben wird. Diese Fähigkeiten müssen künftig Ansatzpunkt dessen sein, was wir unter Arbeit verstehen.

Dabei muss es Ziel sein, sich gar nicht erst in eine – aussichtslose – Konkurrenz zu Maschinen zu begeben. Vielmehr gilt es, menschliche Stärken – von Neugierde über Vorstellungskraft, Intuition, Kreativität bis hin zu Empathie, emotionaler und sozialer Intelligenz – fruchtbar zu machen, indem Arbeitsstrukturen und -prozesse möglichst offen und fluide gestaltet werden. Menschliche Arbeitsinhalte sollten sich auf das Neue und noch Unbekannte konzentrieren, die Abarbeitung des Bekannten, die Problemlösung innerhalb ausgetretener Pfade kann getrost den Maschinen überlassen werden. Mehrwert zu schaffen über das Gegebene hinaus, abseits vorgegebener Prozesse tätig zu sein, kontextspezifisch statt standardisiert vorzugehen, Nichtroutinetätigkeiten und Teamarbeit nachzugehen – all dies erfordert menschliche Fähigkeiten und muss daher Kern zukünftiger Arbeit sein. Eine Arbeitswelt zu schaffen, in der das volle Potenzial der spezifischen menschlichen Fähigkeiten zur Geltung kommen soll, bedeutet, nicht länger von der Maschine her zu denken. Bislang folgte der Maschineneinsatz weitgehend einem Human-in-the-Loop-Konzept, wonach Arbeit so weit wie möglich Maschinen überlassen wurde und der Mensch als Lückenfüller, also für Überwachungs- und Kontrolltätigkeiten sowie nötige Interventionen, zum Einsatz kam. Doch erhält man die erforderlichen kreativen Freiräume erst, wenn aus dieser prozessorientierten Sicht ausgebrochen und die allgemeine Intelligenz des Menschen zum Ausgangspunkt der Arbeitsgestaltung gemacht wird, um Computer die Lücken füllen zu lassen, indem sie mit ihren speziellen Fähigkeiten dort unterstützen, wo sie besser sind als der Mensch.

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